Draußen wälzt sich eine Blechkolonne auf der A7 in Richtung der österreichischen Grenze. Drinnen, in unserem roten Citroën C1, staut sich die Hitze. Und das bereits seit ungefähr vier Stunden.
Ich streiche mir meine verschwitzten Pony-Strähnen aus dem Gesicht, versuche mich so aufrecht hinzusetzen, dass genügend Abstand zwischen der Sitzlehne und meinem Rücken bleibt, und muss gleichzeitig im kontinuierlichen "Stop and Go" die Übersicht behalten – was bei rund 5 Km/h aber zum Glück nicht so schwer ist.
Dass so ein Roadtrip nach Italien im Hochsommer, in einem Auto ohne Klimaanlage kein Zuckerschlecken sein würde, damit haben wir gerechnet. Zu diesem Zeitpunkt ahnen wir allerdings noch nicht, dass uns noch neun weitere Stunden zwischen verstopften Autobahnen und überfüllten Raststätten bevorstehen.
Von wegen "grenzenlose Freiheit" oder "der Weg ist das Ziel". Wenn ich die Hand in typischer Roadmovie Manier aus dem Autofenster strecke, dann nicht um den Fahrtwind zu spüren, sondern lediglich in der verzweifelten Hoffnung, dass es draußen ein paar Grad kühler ist als drinnen.
Der Stau - ein demokratischer Zustand
Das Schöne an dieser Situation: Im Stau sind alle gleich. Egal ob 59 PS oder 300.
Alle wollen weg, keiner kommt weg.
In keiner anderen Situation kann ich mit meinem kleinen französischen Auto an einer Porsche Fahrerin vorbeiziehen oder den VW-Geländewagen hinter mir lassen und dabei die Fahrerinnen bzw. den Fahrer beobachten.
Was sind das für Menschen? Was führen die wohl für ein Leben?
Und wenn du so viel Geld verdienen würdest, dass du dir einen Porsche leisten könntest, was würdest du dann damit machen?
Würdest du deinen Verdienst oder deine Ersparnisse auch in ein teures Auto investieren oder würdest du die Welt bereisen?
Ob das alternativ aussehende Pärchen in dem umgebauten VW-Bus neben uns wohl auch darin lebt? Wie wäre es wohl, in einem Bus zu leben? Unterwegs zu Hause zu sein. Ungebunden und frei?
Wahlweise jeden Tag, jede Woche oder jeden Monat neue Menschen und neue Orte kennenzulernen? Einfach wegfahren, wenn einem ein Ort nicht gefällt. Bei Streitigkeiten sagen "Sorry, aber wir wollten sowieso morgen weiter."
Der Stau - geschenkte Zeit?
in Stau ist eine erzwungene Pause und eine Möglichkeit über das eigene Leben nachzudenken. Kein WhatsApp, kein Facebook, kein Netflix, keine Anrufe, keine E-Mails – nichts, was ablenken kann – außer vielleicht der Frust über den erzwungenen Stillstand.
Doch wenn man den einmal in den Griff bekommen und akzeptiert hat, dass es eben so ist, wie es ist, dann ist so ein Stau eine wertvolle Chance, um über Dinge nachzudenken, die man im Alltag schnell von sich schiebt, weil sie gerade nicht dazu beitragen, akute Probleme zu lösen, nicht dabei helfen, Aufgaben zu bewältigen oder, weil es zu anstrengend ist, um darüber nachzudenken und man sich lieber von WhatsApp, Facebook oder Netflix berieseln lässt.
Der Weg ist das Ziel!?
Der Stau auf der A7 war nicht der erste Stau und auch nicht der letzte an diesem heißen Sommertag im Juli. Insgesamt haben wir für die Strecke von Siegen bis nach Puegnago sul Garda, die eigentlich rund acht Stunden dauern sollte, 19 Stunden gebraucht.
Natürlich gab es in diesen 19 Stunden den ein oder anderen Tiefpunkt: Zum Beispiel als die Mate ausgetrunken war und wir an den Kaffeepreisen der Raststätten verzweifelt sind, wir vor Müdigkeit am liebsten acht, anstatt einer halben Stunde geschlafen hätten oder sich der Auspuff des Autos gelöst hat und wir zwei Stunden lang nicht wussten, wie die Reise weitergeht.
Doch dann gab es da auch diese schönen Momente, als wir uns auf einem Rastplatz beim Pokémon spielen verlaufen haben und von einer Gruppe LKW Fahrer auf einen Wodka eingeladen wurden (den wir natürlich dankend abgelehnt haben); als uns mehrere Menschen ihre Hilfe angeboten haben, nachdem sie gesehen hatten, dass wir Probleme mit unserem Auto haben oder als wir festgestellt haben, dass selbst nach drei Jahren Beziehung noch nicht alle witzigen Geschichten aus der Vergangenheit erzählt wurden und es immer noch Träume oder Wünsche gibt, die man noch nicht miteinander geteilt hat.
Die 19 Stunden in der kleinen heißen Blechbüchse waren am Ende des Tages eine echte Bereicherung und haben mir gezeigt, es kommt nicht darauf an, wie schnell man sein Ziel erreicht, sondern mit welcher Einstellung, denn mit der Richtigen wird selbst der beschwerlichste Weg zum lohnenswerten Ziel.
Vielen Dank an Sandra Wiebrecht und Pascal Nevelz, die mir beim Überarbeiten des Texts geholfen haben :)