Wie wichtig ist es eigentlich, im Leben einen Plan zu haben?
Lange Zeit habe ich nicht einmal darüber nachgedacht, mir diese Frage zu stellen. Es war einfach nicht notwendig. Denn ich hatte immer eine Vorstellung davon, wie mein Leben aussehen sollte. Anders gesagt: Ich wusste immer ziemlich genau, was von mir erwartet wird: Schule, Studium, Arbeit und so weiter …
Aber was passiert, wenn man diese ausgetretenen Pfade verlässt und aus den vorgegebenen Strukturen ausbricht?
Mit meiner Entscheidung, ein One-Way-Ticket ans andere Ende der Welt zu kaufen, wollte ich genau das herausfinden.
Obwohl ich gestehen muss, dass ich nicht völlig planlos nach Neuseeland geflogen bin. Ich wusste zum Beispiel, dass ich circa eine Woche in Auckland bleiben werde, um ein Auto zu kaufen, dass nach zwei Wochen mein erstes Wwoofing in der Nähe von Dargaville – einem kleinen Städtchen nördlich von Auckland – beginnt und dass ich meine beste Freundin am 20. Dezember vom Flughafen in Auckland abholen werde.
Es gab also ein paar Eckpunkte, an denen ich mich in den ersten Wochen meiner Reise orientieren konnte.
Zu wissen, was mich erwartet gibt (mir) Sicherheit
Obwohl wahrscheinlich nichts so trügerisch ist, wie das Gefühl von Sicherheit.
Die Neuseeländer würden wahrscheinlich so etwas sagen wie: „Man plans, God laughs.“
Es gibt keine Sicherheit.
Nur weil etwas 1000 mal funktioniert hat, muss das nicht heißen, dass es auch beim 1001 mal gut ausgeht.
Ja, diese Erkenntnis ist beängstigend, aber sie ist zugleich auch befreiend. Ob wir an unseren Routinen festhalten oder Neues wagen, letztendlich ist der Ausgang
offen.
Warum also nicht mal etwas Neues ausprobieren?
Wirklich ohne Plan war ich also zum ersten Mal in meinem Leben, nachdem ich meine Freundin am 19. Januar zum Flughafen in Christchurch gefahren habe.
Nichts hat mich darauf vorbereitet, was das eigentlich bedeutet, keine Verpflichtungen oder Verabredungen mehr zu haben.
Plötzlich stehen mir alle Möglichkeiten offen. Ich könnte auf die Fiji Inseln fliegen, um unter Palmen an einen der vielen Sandstrände zu chillen, auf einem Schiff anheuern, um Pinguine in der Antarktis zu sehen. Ich könnte auf einer Kiwi Plantage arbeiten oder lernen, wie man den perfekten „Flat White“ macht …
Doch anstatt mich für einen dieser Wege zu entschieden, nehme mir ein Beispiel am Wappentier der Neuseeländer und mache erst mal … nichts.
Hintergrundinfo
Wenn Gefahr droht, verfällt der Kiwi in eine Art Schockstarre. Das ist gar nicht so dumm, wie es vielleicht auf den ersten Blick klingt, denn bevor die ersten Säugetiere nach Neuseeland gebracht wurden, war das eine sinnvolle Verteidigungsstrategie.
Die größte Gefahr drohte nämlich von anderen Vögeln aus der Luft. Stellt sich der Kiwi tod, verschmilzt sein braunes Gefieder mit dem Waldboden. Von oben ist er dann nur schwer zu erkennen.
Kontrollverlust hat die „Lust“ zwar schon im Namen, aber das hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Bei dem Gedanken daran, dass ich jetzt ganz alleine auf einer Insel mitten im Pazifik bin und nicht weiß, was ich machen soll, durchströmt mich keine Abenteuerlust.
Ich fühle mich eher, als würde ich auf einem Seil tanzen, (ohne wirklich zu wissen, was ich da tue) während unter mir jemand das Sicherheitsnetz durchschneidet.
Zu 45 Prozent frustriert und zu 55 Prozent belustigt, erinnere ich mich in diesem Moment an einen Kalender, der für längere Zeit auf meinem Schreibtisch stand. In geschwungener Schrift steht da die Aufforderung „Get Lost“ unter einem himmelblauen VW Bulli, der in den Sonnenuntergang fährt.
Angst ist die dunkle Seite der Freiheit
Doch Angst ist in den seltensten (nicht lebensbedrohlichen) Fällen ein guter Ratgeber. Das war selbst mir in diesem Moment klar und so habe ich rückblickend die
beste Entscheidung getroffen, und bin weitergefahren.
Ohne Alltagsroutine, verpflichtende Aufgabe, Freunde oder Familie (in der nahen Umgebung) muss man sich eben selbst wieder auf die Beine bringen.
Das Wichtigste dabei ist (jedenfalls habe ich das festgestellt), erst mal einfach zu machen. Irgendwas. Außer Netflix, Instagram und Facebook!
Insbesondere keine Psycho Thriller/Krimi-Serien auf Netflix ansehen. Obwohl "The Assasination of Gianni Versace" schon eine ziemlich gute Serie ist.
Am besten das Smartphone ganz wegtun und den Laptop zuklappen. Aber einfach etwas machen. Und selbst, wenn es „nur“ ein Spaziergang ist.
Wenn man sich dann wieder soweit aus seiner Starre gelöst hat, dass man sich gesellschaftsfähig fühlt, ist der nächste Schritt: Mit fremden Menschen sprechen.
Wenn man reist hat das zudem noch den praktischen Nebeneffekt, dass man häufig gute Tipps bekommt.
Wenn man sich absolut nicht überwinden kann, mit Menschen zu sprechen, hilft auch: Tiere streicheln. Einfach etwas tun, um wieder mit seiner Umwelt in Kontakt zu kommen.
Allein die Präsenz von Tieren und das in der Natur sein, führen meistens dazu, dass man sich besser fühlt.
Doch der wichtigste Schritt und der eigentliche Schlüssel ist:
Finde heraus, was du willst!
Das muss jetzt nicht gleich das große Lebensziel sein. Aber einfach zu wissen, wo man als nächstes hinmöchte. Ein Ziel zu haben. Das hilft sehr. Und wenn man niemanden hat, der einem eins vorgibt, muss man sich eben selbst eins suchen.
Aber was will ich eigentlich?
Die Angst hat die lauteste Stimme und sagt: „Du solltest dir irgendeinen bezahlten Job suchen und Geld verdienen. Und zwar asap.“
Die Abenteuerlust wägt ab und sagt: „Wofür hast du dir denn das Auto gekauft? Damit du günstig reisen kannst. Mit dem Geld, das du gespart hast, kannst du locker noch zwei bis drei Monate unterwegs sein, wenn du sparsam bist.“
Irgendwo dazwischen ist eine Stimme, die sagt: „Ich bin am schönsten Ende der Welt, liebe die Fotografie, liebe das Schreiben und denke ernsthaft darüber nach, Kiwis zu pflücken, aus Angst, dass mein Geld ausgeht? Das ist doch Quatsch. Warum mache ich nicht das, was ich liebe und schaue, wo es mich hinführt?“
Also habe ich beschlossen, die Westküste Neuseelands zu bereisen und an meinem Portfolio zu arbeiten.
Warum die Westküste? Zwar ist die Ostküste die sonnigere Region der neuseeländischen Südinsel, allerdings befinden sich fast alle landschaftlichen Higlights am Rande der oder in den neuseeländischen Alpen.
In den nächsten sechs Wochen hat mein Wecker von nun an jeden Morgen um 5 Uhr geklingelt.
Ich muss zugeben, manchmal auch deshalb, weil ich vergessen habe, ihn auszuschalten.
Aber in erster Linie habe ich mir vorgenommen, so oft wie möglich den Sonnenaufgang zu sehen. Sei es, um die Landschaften in ihrem schönsten Licht zu fotografieren oder einfach, um mit einem heißen Kaffee in meinem Campingstuhl zu sitzen und den Vögeln zu lauschen.
Schon nach kurzer Zeit habe ich komplett das Gefühl für die Zeit verloren. Welcher Wochentag ist heute? Keine Ahnung? Welches Datum? Absolut keinen Plan.
Besonders kurios wird diese Ahnungslosigkeit, wenn man sich auf einem Campingplatz selbst einchecken muss, indem man ein Formular ausfüllt.
In Kohaihai, dem nördlichsten Punkt der Region „West Coast“, trage ich den 12. Februar in das Datumsfeld ein und frage den Mann neben mir – einfach um sicherzugehen:
„Today is February, 12th, right?“ Er schaut mich ungläubig an und sagt: „Today is Febraury, 5th“, dann fangen seine Augen an zu zucken und er prustet los: „You’re really lost hey?“
Auch ich muss lachen. Ja, ich habe mich verloren. Aber so richtig.
Wunder Bar
Das Tolle am sich verlieren ist, dass man plötzlich beginnt in völlig neuen Mustern zu denken, dass die Ideen sprudeln und man auf eine schöne Art und Weise im Einklang ist – mit sich und der Welt.
Auf einer Wanderung kommen mir zum Beispiel Ideen für Barnamen.
„Wunder Bar“, „Trink Bar“ … Aber eine Bar? Das würde meinem Leben eine zumindest überraschende Wendung geben.
Ich notiere die Idee - man weiß nie für was so etwas mal gut sein kann – und laufe weiter.
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Walks im Aoraki/Mt Cook Nationalpark
Es gibt kein günstigeres und intensiveres Fortbewegungsmittel als die eigenen Füße. Hier zeige ich euch meine liebsten Walks und Lookouts im Aoraki / Mt. Cook Nationalpark.
Ich mach das jetzt
Ein „One-Way-Ticket“ buchen, einfach loszuziehen, ohne große Pläne, ohne Zeitdruck – was wäre, wenn ich es einfach mache?